Freitag, 26. Mai 2017

Naht das Ende der Amtsautorität?

Missverständnisse in der Demokratisierungsdiskussion

Top down funktioniert nicht mehr. Die Probleme dieser Welt lassen sich nur noch Bottom up lösen. Den Eindruck gewinnt man immer wieder, wenn man Beiträge zu diesem Thema liest. So auch in einem Interview des belgischen Psychoanalytikers Paul Verhaeghe in der Aprilausgabe von Psychologie Heute. Er unterscheidet berechtigterweise zwischen Amtsautorität und persönlicher Autorität, welche er als Respekt bezeichnet und betont die Wichtigkeit persönlicher Autorität als Element von "guter Führung". Zunächst ist das keine neue Erkenntnis. Solange über Autorität diskutiert wird, wird auf diese wesentliche Unterscheidung hingewiesen. Führungskräfte, gleich in welchem organisatorischen Rahmen, die sich schwerpunktmäßig auf ihre Amtsautorität berufen, sind nicht überzeugend. Die Autorität eines Amtes, einer Position, einer Funktion wird um so wirkungsvoller, je mehr sie durch eine entsprechende Persönlichkeit unterfüttert wird. Doch sollte man die banale Vorsaussetzung nicht übersehen, dass aus einer überzeugenden Persönlichkeit erst dann eine Führungskraft wird, wenn sie mit der Autorität einer Position ausgestattet wird. Dieser Effekt gerät in der Diskussion um mehr Demokratie in Unternehmen offensichtlich in den Hintergrund. So auch bei Herrn Verhaeghe. Je mehr "Bottom Up", desto weniger Amtsautorität ist notwendig. Das jedoch ist ein Missverständnis. Auch wenn die Mitarbeiter ihren Chef wählen ist dieser mit Amtsautorität ausgestattet. Jede Organisation, will sie nicht gänzlich chaotisch arbeiten, muss sich eine gewisse Ordnung, eine Struktur, und damit auch eine Hierarchie geben. Und in dieser Hierarchie, mag sie auch noch so flach sein, sind den Positionen bestimmte Aufgaben und Befugnisse zugeordnet. Damit wird Autorität ausgeübt.
Die Amtsautorität hängt davon ab mit welchen Befugnissen die Position jeweils ausgestattet ist und welche Person sie ausübt. An diesen Punkten sind auch die Stellschrauben. Beispielsweise kann schon durch die Reduzierung von Statussymbolen der  - kritische - Blick auf die Persönlichkeit des Stelleninhabers geschärft werden. Und natürlich: was muss der Chef unbedingt selbst entscheiden und was kann er delegieren? Dafür kann man organisatorsich die richtigen Weichen stellen. Der direkte Weg zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen personaler und funktionaler Autorität führt aber nie an der Auswahl des Führungspersonals vorbei. Je flacher die Hierarchie sein soll und je mehr so weit "unten" wie nötig entschieden werden soll, desto mehr personale Autorität muss der Stelleninhaber mitbringen.

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