Freitag, 30. Oktober 2015

Wir schaffen das

Oder: Was bedeutet Führung in komplexen Situationen?

Kürzlich eine Diskussion über die Flüchtlingssituation. Einer der Teilnehmer ein Ingenieur. Er kritisierte den Spruch der Kanzlerin heftig mit dem Argument, dass man in einer solchen Situation so etwas nicht sagen könne, ohne gleichzeitig auch einen Lösungsweg aufzuzeigen, wie man es denn schaffen könne. Da ich ja lange genug in einem maßgeblich von Ingenieuren beeinflußten Unternehmen tätig war, ist mir diese Argumentation wohlbekannt. Der Ingenieur ist darauf trainiert, das was er macht, vorher sorgfältig zu planen. Wenn er eine Maschine baut, macht er vorher eine Zeichnung und stellt sorgfältige Berechnungen an, damit sie nachher auch funktioniert. Das ist absolut richtig und notwendig. Wenn er ein größeres Projekt plant, macht er es genauso. Er erstellt einen Projektplan samt minutiösem Netzplan. Dank EDV-Unterstützung funktioniert das bestens. Man muss nicht mit dem Berliner Flughafen kommen, um darauf hinzuweisen, dass Planung fehleranfällig und in ihrer Wirkung begrenzt sein kann. Ich dürfte keine großen Schwierigkeiten haben, in einer kurzen Zeitspanne eine größere Zahl von Menschen zu finden, die mir von holprigen oder gescheiterten größeren oder kleineren Projekten berichten können.
Am Beispiel der Flüchtlingssituation könnte man also die Frage stellen, ob es Situationen gibt, die einer Planung schwer zugänglich sind oder sich ihr ganz entziehen. Es ist nachher immer einfach die Verantwortlichen zu kritisieren: Das hättet ihr aber viel früher.......Die Kritik mag sogar berechtigt sein. Doch gerade "politische" Entscheidungen - und die gibt es auch in Unternehmen zuhauf - lassen sich oft schwer planerisch vorbereiten und in allen Konsequenzen absichern. Kann dann ein Veranntwortlicher sich vor seine Leute stellen und ihnen ein forsches "Wir schaffen das" zurufen ohne dass er den Plan dafür mitliefert? Ich meine, er kann und manchmal muss er es sogar tun. Er (oder sie) sollte dann aber auch offen sagen, dass man improvisieren muss und später möglicherweise auch korrigieren. Es ist in manchen Situationen besser schnell anzufangen und zu machen als erst einmal einen ingenieursmäßigen Plan zu machen, der versucht alle Eventualitäten auszuschalten. Das kostet in jedem Fall Zeit und wenn er dann fertig ist, haben sich manche Parameter schon wieder geändert und der Plan ist hinfällig. Was bei der Konstruktion von Maschinen gut ist, gilt noch lange nicht für "soziale" Situationen.
Wohl gemerkt, das spricht alles nicht gegen Planung und Struktur. Beides ist notwendig und sinnvoll. Aber man muss sich gerade in einem flexiblen und schnell veränderlichem Umfeld der Grenzen bewußt sein. Und dann ist es gut, wenn man die Kunst der professionellen Improvisation beherrscht.

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