Freitag, 18. September 2015

Warum darf man sich nicht rechtfertigen?

In dem Leitfaden eines Unternehmens zu seinem Beurteilungssystem steht für die "Feedback-Nehmer" die Regel "nicht rechtfertigen". Zuweilen sieht man auch noch in Tagungsräumen Besprechungsregeln an der Wand hängen, in denen die Rechtfertigung abgelehnt wird. Ich habe diese Regel, ehrlich gesagt, nie richtig verstanden. Gemeint ist wohl, dass man als Feedback-Nehmer oder Beurteilter das Feedback offen annehmen und sich sachlich damit auseinandersetzen soll. Eine Kritik soll nicht gleich mit: "Ja, aber ich habe doch...." gekontert werden. Eine solche Empfehlung ist sicher sinnvoll. Aber warum soll man als Mitarbeiter, der ein möglicherweise kritisches Feedback bekommt, das auch annimmt, nicht die Möglichkeit bekommen, das Verhalten zu erklären und gegebenenfalls auch zu rechtfertigen? Es kann ja durchaus sein, dass der Feedback-Geber nicht alle Aspekte der kritisierten Situation berücksichtigt hat oder nur unzureichend informiert war. Da muss man als Beurteilter die Möglichkeit haben sich zu recht-fertigen. Darin steckt das Wörtchen "Recht". Bei einer unangemessenen oder gar falschen Beurteilung muss es möglich sein, das Recht wieder herzustellen. In den Regeln des oben erwähnten Unternehmens steht davon nichts drin. Stattdessen nur: "Zuhören..., nicht rechtfertigen, nachfragen......, über das Feedback nachdenken...." Also nur passives Verhalten. Das Feedback annehmen, aber nicht darüber diskutieren oder es gar in Frage stellen. Das kann keine Basis einer sogenannten Performance Evaluation - so heißt das in dem Unternehmen - sein.
Natürlich ist es wichtig, dass der Beurteilte das Feedback offen annimmt. Rechtfertigung darf keine Blockade gegen Selbstreflexion sein. Auf Zeitgenossen, die keinerlei Bewußtsein für ihre blinden Flecken haben, trifft man in Beurteilungsrunden immer wieder. Menschen, die jeden Fehler sofort von sich weisen, sind für einen Beurteiler keine einfachen Gesprächspartner. Doch mit einer Regel, die jede Rechtfertigung unterbinden will, löst man dises Problem nicht. Jemand, der Verantwortung für sein Tun übernimmt, kann auch offen Feedback annhemen oder einen Fehler zugeben. Er muss aber auch die Möglichkeit sich zu erklären.
Es ist aber tröstlich zu erleben, dass diese Regel in der Praxis eh keine Bedeutung hat. Rechtfertigung ist auch ein natürlicher Reflex. Wenn man kritisiert wird, geht man oft quasi automatisch in die Verteidigungsposition über. Und die sollte der Beurteiler auch zulassen und die Argumente des Gegenüber - so sie denn fundiert sind - in seine Wertung einbeziehen.
Die Besprechungs- oder Beurteilungsregel sollte man streichen.

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