Mittwoch, 10. April 2013

Mythos Kennzahl

Ich habe mich hier in der Vergangenheit bereits mehrfach zu der immer mehr um sich greifenden Verbreitung von Messgrößen, Indices, Key-Figures, wie immer sie auch heißen, geäußert. Nun habe ich wieder ein schönes Beispiel bei der Zeitungslektüre entdeckt. Wiedermal muss auch das Unternehmen SAP herhalten - die Kolleginnen und Kollegen dort mögen mir verzeihen. Es ist bekannt, dass SAP regelmäßig Mitarbeiterbefragungen durchführt. U.a. wird das Engagement der Mitarbeiter ermittelt. 2012 wurde ein Wert von 79 Prozent erzielt, zwei Punkte mehr als im Jahr davor. Zielgröße für 2012 sind 82 Prozent. Da fragt man sich als unbefangener Leser, wie merkt man das im täglichen Betrieb des Unternehmens, wenn der Wert für Engagement um 2 Punkte gestiegen ist und wenn er dann in 2 Jahren den Zielwert erreicht hat? Gewiß machte es Sinn, die Mitarbeiter zu fragen, ob sie ihren Arbeitgeber weiterempfehlen oder ob sie an die Produkte glauben. Aber macht es Sinn, das jedes Jahr zu tun? Welche Erkennntnis bringt der Anstieg der Engagementkennzahl um 2 Prozent in einem Jahr? Der Vorstand wird die Kenntnisnahme sicher in dem Statement zusammenfassen "Wir sind auf einem guten Weg aber wir haben noch einiges zu tun."
Besonders beeindruckt hat mich, dass es bei SAP einen Gesundheitskultur-Index gibt. (Ich habe noch die stille Hoffnung, dass der Mannheimer Morgen hier etwas falsch vertanden hat - Ausg. 23.3.) Verblüfft aber hat mich geradezu, was damit gemessen wird: die Offenheit der Mitarbeiter für Veränderungen, ihre Verbundenheit mit dem Unternehmen....Eigenverantwortung...Führungsstärke und weitere Merkmale. Ein für mich völlig neues Verständnis von Gesundheitskultur. Auch dieser Index ist um einen Prozentpunkt gestiegen.
Hier wird für mich der Irrweg sichtbar, auf den Kennzahlen führen können. Zum einen wird versucht, möglichst alle Aspekte des Zusammenwirkens und Zusammenarbeitens in einer unternehmerischen Organisation in Kennzahlen zu erfassen. Diese Kennzahlen suggerieren, dass man ihre Veränderung beeinflussen kann, was bei manchen natürlich geht, bei vielen aber nicht. Sie verändern sich zwar aber man kann empirisch nich seriös erklären warum. Es würde mich wundern, wenn man bei SAP erklären könnte, warum im letzten Jahr der Engagement-Index um zwei und der Gesundheitskulur-Index um einen Punkt gestiegen sind. Und was würde es bedeuten, wenn das Engagement gesunken, das Ergebnis trotzdem gestiegen wäre oder umgekehrt? Aber die Verantwortlichen können sich beim Lesen der Kennzahlen in dem Glauben sonnen, sie haben die Komplexität des Unternehmens im Griff. Zum anderen besteht die Gefahr, dass die Kennzahl mit der Realität selbst verwechselt wird. Der Engagement-Index steigt, also ist die Welt in Ordnung. Über die Komplexität der dahinterstehenden Führungssituation sagt die Zahl gar nichts. Anstatt die Wirklichkeit selbst zu beeinflussen, versucht man die Zahl zu verändern. Bei harten betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, z.B. Kosten, mag das gehen, bei Zahlen, die sogenannte Soft-Facts abbilden sollen, ist das problematisch.
Ich habe mich früher auch schon zu Mitarbeiterbefragungen geäußert. Deshalb hier nur noch mal kurz:
Sie können in gewissen Abständen sinnvoll sein aber sie sind kein Ersatz für die direkte Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter. Alles, was in einer Befragung abgefragt wird, gehört in das Gespräch mit den Mitarbeitern.


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