Mittwoch, 24. Oktober 2012

Mythos Work-Life-Balance (?)

In der ZEIT Nr. 36 steht ein Artikel über den Vorstandvorsitzenden eines großen deutschen Unternehmens. Bis Weihnachten wird er an zwei Wochenenden zu Hause sein. Der Mann ist an 160 Tagen in seinem Unternehmen weltweit unterwegs. Dazu sagt er, dass man ein weltweites Unternehmen nicht von einer Zentrale aus führen kann. Er hält 150 Vorträge im Jahr. Bei einem Treffen mit Trainees seines Unternehmens antwortet er auf die Frage einer Teilnehmerin, wie er den Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben schaftt.

In seltener Ehrlichkeit - was diese Frage angeht und im Unterschied zu vielen anderen, denen sie gestellt wird  - antwortet er: "Gar nicht". Wenigstens kommt nicht der Spruch: Es ist gut, dass meine Frau mir den Rücken frei hält.
Der Artikel - durchaus mit kritischer Distanz geschrieben - porträtiert einen erfolgreichen Unternnehmenschef. Er bestätigt damit das Bild, das wir von der Arbeit in einem solchen Job haben. Und dieses Bild entspricht offensichtlich weitgehend der Realität.
Darum lassen sie uns, durchaus losgelöst von diesem Beispiel, mal einige Fragen stellen:

Muß diese Reisetätigkeit in dieser Form und Intensität wirklich sein?
Glaubt ein Vorstandsvorsitzender eines großen internationalen Konzerns wirklich, er bekommt bei seinen Besuchen in den Landesgesellschaften (Lt. Artikel 40 Stunden Türkei, randvoll mit Terminen) wirklich einen objektiven Eindruck von der Situation in der Gesellschaft oder verläßt er sich nicht doch bei seinen Entscheidungen auf die relevanten Kennzahlen?
Gehört es wirklich zu diesem Job, mit dem zuständigen Manger durch einen Supermarkt zu hetzen und sich über die detaillierten Kaufgewohnheiten der Verbraucher zu informieren?
Kann er all die Eindrücke systematisch verarbeiten?
Welches Verständnis von "Vertrauenskultur", mag eine solche Führungskraft haben?
Wie mag die Kultur in diesem Unternehmen für die MitarbeiterInnen spürbar sein?
Legt der Vorstandsvorsitzende an seine Mitarbeiter diesselben Maßstäbe wie an sich selbst?
Wie sieht es mit den Chancen für Work-Life-Balance für aufstrebende Nachwuchskräfte - insbesondere Frauen - aus?

Diese Fragen kann sich abgewandelt jede Führungskraft stellen. Natürlich gibt es darauf genügend plausibel klingende Antworten, die das traditionelle Bild des rundum beschäftigten Managers bestätigen. Natürlich ist jemand, der eine bestimmte Verantwortung trägt, mehr ausgelastet und muß mehr arbeiten. Aber gerade wenn ich einige jüngere Nachwuchskäfte aus meinem Umfeld, die in unterschiedlichen Unternehmen arbeiten, sehe, dann merke ich wie wenig ehrlich diese Fragen in den Unternehmen tatsächlich gestellt und noch weniger beantwortet werden. Stattdessen höre ich viel von Überlastung und hohem Druck. Die Anforderungen, die gestellt werden, sind die eine Seite. Ich beobachte aber auch eine andere: Für viele, nicht nur für jüngere aufstrebende Nachwuchsmanager, ist die Erreichbarkeit und das Gefragtsein mittlerweile zum Statusysmbol geworden. Deshalb ghört eine Frage noch dazu:
Muß ich wirklich immer über Handy erreichbar sein und muß ich auch im Urlaub meine mails checken?
Bin ich so wichtig?

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